Helme


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Auf dieser Seite möchte ich einmal das Thema Helme für Radfahrer etwas näher beleuchten. Trotz aller hoch emotionaler Diskussionen ist die Sachlage hier nämlich keineswegs so klar und eindeutig, wie mancher glaubt.



Von vielen Menschen erhält man bei Fragen zum Thema Fahrradhelm eine starke Befürwortung, wenigstens aber keine Ablehnung. Einige sind sogar bereit, Helmpflichten für Radfahrer oder einzelne Gruppen von Radfahrern zu fordern oder zu akzeptieren. Hiermit möchte ich mal ein klein wenig Aufklärung zum Thema betreiben, denn längst nicht alles, was den Styropormützen angedichtet wird, ist die in Stein gemeißelte Wahrheit.

Was ist ein »Fahrradhelm«?

Zunächst einmal gilt es mit den Begriffen etwas aufzuräumen. Was ein »Radhelm«, »Fahrradhelm«, »Velohelm« oder ähnliches sein soll, ist aber nirgendwo fest definiert, auch wenn die Hersteller ihre Produkte zuweilen so bezeichnen. Offiziell gibt es für Radfahrer nur »Sturzhelme« und dementsprechend findet man in den Normen auch nur Beschreibungen für diese, aber nicht für »Fahrradhelme« und Co.. Das ist schonmal ein kleiner Hinweis darauf, wofür derartige Utensilien eigentlich gedacht sind, bzw. welche Fähigkeiten ihnen von Seiten der Normierungsbehörden abverlangt bzw. bescheinigt werden. Wenn aber jemand von »Fahrradhelmen« oder ähnlichem spricht, ist eigentlich immer ein »Helm« von ähnlicher Bauart wie diesem Exemplar gemeint, der sogenannte Mikroschalen-Helm (in Abgrenzung zum Hartschalen-Helm, wie er für Motorradfahrer verlangt wird). Für gewöhnlich ist damit heutzutage eine Styroporhalbschale mit einem glatten Kunststoffüberzug gemeint, häufig mit Lüftungsschlitzen versehen, um die Wärmeabfuhr zu gewährleisten. Das ganze wird durch Kinnträger fixiert, damit der Helm richtig sitzt.

Erwartungen an Sturzhelme

Viele Menschen haben die Erwartung, dass ein Sturzhelm sie vor gefährlichen Verletzungen am Kopf schützt, oder deren Schwere zumindest deutlich verringert. Diese Meinung wird auch teilweise in Studien vertreten, z. B. wurde in einer Arbeit von Thompson et al.[3] bereits 1989 behauptet, Helme würden das Risiko für Kopfverletzungen von Radfahrern um bis zu 85% senken. Auch die Versicherer vertreten nach außen hin immer wieder die Prämisse, dass Helme für Radfahrer im Straßenverkehr notwendig seien, auch die Polizei und diverse andere öffentliche Stellen propagieren immer wieder die Aussage, Helme seien notwendig. Allen gemein ist die Annahme, dass Helme deutliche Sicherheitsgewinne bedeuten. Es stellt sich schon die Frage, woher diese Aussagen kommen. Wie wird begründet, dass Radfahrer einen Helm bräuchten?

Wer sollte Sturzhelme tragen und warum?

Meistens werden beim Thema Schutzhelme nur Personen aus dem Kreise der Zweiradfahrer berücksichtigt, also Radfahrer, Mofafahrer und Motorradfahrer. Bei letzteren beiden Gruppen ist eine Helmpflicht bereits eine gesetzliche verankerte Tatsache. (Wichtig ist hier übrigens, dass dort eine Pflicht für Hartschalenhelme gegeben ist, vgl. dazu nächster Abschnitt.) Fast immer, wenn von tödlichen Unfällen bei diesen Verkehrsteilnehmern berichtet wird, haben Kopfverletzungen wenigstens einen großen Anteil an den Todesursachen, wenn sie nicht sogar die alleinige Ursache für den Tod sind. Deshalb sei es (so die Befürworter des Helms, bzw. einer Helmpflicht) für Radfahrer und KRAD-Fahrer notwendig, Helme zu tragen, da diese ungeschützt sind und hohe Risiken hätten, bei einem Unfall Kopfverletzungen zu erleiden. Für praktisch keine andere Gruppe von Verkehrsteilnehmern wird derartiges gefordert, weder für LKW-Fahrer, noch Autofahrer, noch Fußgänger. Dabei haben Kopfverletzungen bei Unfällen aller anderen Verkehrsteilnehmergruppen ebenfalls hohe Anteile an tödlichen oder schwerwiegenden Verletzungen. Das ist im Prinzip auch nicht schwer zu verstehen, denn ein gebrochener Arm oder ein Beinbruch führt in aller Regel nicht zum Tode, selbst Rippenbrüche sind meistens nicht direkt lebensgefährlich, Kopfverletzungen oder innere Verletzungen hingegen können sehr leicht tödlich enden. Es liegt also gewissermaßen in der Natur der Kopfverletzung selbst, dass sie häufig der Grund für Unfalltote ist, ganz egal um welchen Verkehrsteilnehmertyp es sich dabei handelt. Somit ist eine auf einen bestimmten Verkehrsteilnehmertyp beschränkte Betrachtung nicht sinnvoll. Vielmehr sollte man die Risiken für Kopfverletzungen bei Unfällen an und für sich betrachten. Doch auch dann ergibt es sich, dass die Risiken unterschiedlicher Gruppen sich weit weniger unterscheiden, als man das vermuten würde. Die nachfolgende Tabelle enthält eine Vergleichsliste der Anteile an Kopfverletzungen an der Gesamtzahl der Schwerverletzten und Schwerstverletzten/Toten von PKW-Fahrern, LKW-Fahrern, KRAD-Fahrern, Fußgängern und Radfahrern.

Verkersteilnehmergruppe Schwerverletzte Schwerstverletzte
PKW-Fahrer 64% 85%
LKW-Fahrer 58% 100%*
KRAD-Fahrer 69%
Fußgänger 67% 86%
Radfahrer 68% 89%

* Aufgrund sehr geringer Fallzahlen keine gesicherten Werte!
Werte der Tabelle sind aus [1] entnommen.

Sieht man sich jetzt die Zahlen der Anteile der Kopfverletzungen an, stellt man eine gewisse Ähnlichkeit fest. Insbesondere bei schwersten Verletzungen bzw. Todesfällen ist bei allen Gruppen ein Anteil von mindestens 85% durch Kopfverletzungen gegeben, außer bei KRAD-Fahrern, welche jedoch von Gesetzeswegen her bereits einen Hartschalenhelm tragen müssen (und daher für die weiteren Ausführungen ignoriert werden). Die Frage ist also (wenn überhaupt) nicht, ob Radfahrer einen Helm tragen sollten, sondern konsequenterweise ob alle Verkehrsteilnehmer einen Helm tragen sollten. Bereits an dieser Stelle stutzen viele Helmbefürworter, denn das Bild, dass man bei Nutzung anderer Verkehrsmittel als dem Fahrrad evtl. einen Helm bräuchte, ist nicht sonderlich verbreitet. Im Gegenteil, es wird gemeinhin angenommen man sei z. B. mit dem Auto recht sicher unterwegs und ein Helm brächte da doch wenig. Die Zahlen sprechen aber eine klare Sprache: Entweder der Helm ist für alle notwendig, oder auch nicht für Radfahrer. Insbesondere Fußgänger haben ein fast identisches Risiko und auch für diese wird vermutlich niemand eine Helmpflicht fordern, oder irgendeine Art von Helmkampagne starten. Ausgehend von den Risiken wäre das nur konsequent. Ein Beispiel: 17-Jähriger bei Unfall schwer verletzt (18.8.2012). Ein Fußgänger wird von einem Auto erfasst, schlug dabei u. A. mit dem Kopf auf das Fahrzeug auf und muss anschließend mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus abtransportiert werden. Ein weiteres Beispiel: Frau bei Citygalerie angefahren: Schwere Kopfverletzungen (26.6.2012). Auch hier dreht es sich um Kopfverletzungen, die ein Fußgänger bei einem Unfall mit einem KFZ erlitt. In beiden Fällen wird mit keiner Silbe nach Helmen gerufen. Warum eigentlich nicht? Stattdessen macht sich jedoch eine recht einseitige Sichtweise dieses Themas in der Bevölkerung und insbesondere auch in den Medien breit. Als Zwischenergebnis müsste man aber festhalten: Entweder Helm für alle, oder für keinen, die Zahlen lassen zumindest keine andere Vorgehensweise sinnvoll erscheinen. Wenn man nun aber annimmt, dass Helme eine Notwendigkeit sind, stellt sich die Frage an dieser Stelle, was so ein Sturzhelm z. B. für Radfahrer tatsächlich aushalten muss.

Was muss ein Sturzhelm offiziell leisten?

Sturzhelme für Radfahrer im Sinne der DIN EN 1078 müssen folgendes leisten:

4.4 Stoßdämpfungsvermögen
Der Helm muss die Stirn, den Hinterkopf, die Seiten, die Schläfen und den Oberkopf des Benutzers schützen. Bei der Prüfung nach 5.3 und 5.4 darf die Maximalbeschleunigung bei jedem Aufprall höchstens 250 g mit einer Geschwindigkeit von 5,42 m/s auf einen flachen Sockel und 4,57 m/s auf einen Bordstein betragen.

Die Geschwindigkeitsangaben (Fehlerangaben wurden weggelassen) entsprechen 19,51 km/h bzw. 16,45 km/h, die 250 g entsprechen also einer 250 mal größeren Beschleunigung/Verzögerung als der Erdbeschleunigung. An dieser Stelle ist natürlich noch klarzustellen, für welche Massen dies gilt, denn je schwerer der Prüfkopf ist, desto mehr Energie muss der Helm aufnehmen können, bzw. desto schwerer ist es, diesen innerhalb dieser Toleranzen abzubremsen. Die Masse von Prüfköpfen ist in der DIN EN 960 festgehalten. Die maximale Masse der zu benutzenden Prüfköpfe ist als 6,1 kg festlegt. Mit anderen Worten, ein Prüfkopf von höchstens 6,1 kg darf bei einer Aufschlaggeschwindigkeit von maximal 19,51 km/h höchstens 250 g Verzögerung ausgesetzt sein. Die Normen nennen aber u. A. keine zeitlichen Grenzen für diese Verzögerungsdauer. Rechnet man alleine von der maximalen Geschwindigkeit her die minimale Verzögerungsdauer aus, erhält man 2,21 ms Verzögerungsdauer. Die Energie, die dabei vom Helm aufgenommen werden muss, entspricht maximal 89,60 Joule. Dies sind alles Extremwerte, also maximale Geschwindigkeit, maximale Energie, maximale Beschleunigung, minimale Verzögerungsdauer. Man kann nun bereits aus diesen Daten heraus erste Aussagen über die Anforderungen an Sturzhelme treffen.

Bedeutung der Normierungsvorgaben

Was direkt ins Auge fällt, ist die Geschwindigkeit, die als Prüfgröße auf etwas weniger als 20 km/h festgelegt wird. In der Normschrift steht u. A. auch etwas deutlicher

Dies entspricht theoretisch einer Fallhöhe von 1 497 mm beziehungsweise 1 064 mm.

Es geht also um Fallhöhen von 1,50 m und 1,06 m. Überträgt man diese Situation auf die normalen Gegebenheiten beim Radfahren, entspricht das schon mal einer geringeren Fallhöhe, als sie ein ausgewachener Mensch mit ca. 1,75 m Körpergröße auf einem Fahrrad tatsächlich hat. Lediglich auf Liegerädern, oder bei Kindern auf dem Kinderfahrrad, dürfte diese Höhe unterschritten sein. D. h. also dass die Prüfsituation schon einmal eine harmlosere ist, als die tatsächlichen Anforderungen im Alltag. Außerdem wird in der Prüfung der Helm inkl. Prüfkopf frei fallen gelassen, schlägt aber dabei senkrecht auf die Prüfplatte bzw. -kante auf. Eine derartige Situation dürfte ebenfalls in der Minderzahl der Stürze oder gar Unfälle so passieren. Und zu letzt ist auch die Annahme von nur 6,1 kg abzubremsender Masse wohl eher selten ausreichend, da durch die unvermeidliche Abbremsung von Körperteilen zusätzlich zum Kopf, die 6,1 kg leicht überschritten werden können. Auch hier ist die Norm nicht ausreichend im Vergleich zu tatsächlichen Gegebenheiten. Interessant ist auch das Limit von 250 g maximaler Verzögerung unter Berücksichtigung der Wirkung von Beschleunigungen auf das Gehirn.

amax(t)
Beschleunigung in Abhängigkeit der Expositionszeit, ab der der Tod wahrscheinlich ist[2].

Diese sind bereits nach ca. 2,5 ms tödlich[2]. Hier geht man gewissermaßen auf Messers Schneide, denn wie schon ausgeführt, sind die anderen Annahmen bezüglich der Maximalwerte bereits unzureichend, so dass es vergleichsweise wahrscheinlich ist, dass diese Verzögerungswerte notwendig werden bzw. auftreten. Insbesondere das Szenario »Unfall mit einem anderen Verkehrsteilnehmer« ist aber in vielerlei Hinsicht überhaupt nicht abgedeckt. Kann man schon bei einem Alleinunfall leicht über die Norm-Vorgaben geraten (mehr als 20 km/h und zugleich Fallhöhe mehr als 1,5 Meter, Körper wird teilweise mit abgebremst), so ist dies inbesondere bei Unfällen mit PKWs oder gar LKWs nocheinmal deutlich brisanter: Selbst wenn man mit vergleichsweise gemütlichen 15 km/h auf einer Straße mit Tempolimit 30 km/h fährt, sind Relativgeschwindigkeiten von 45 km/h, also mehr als dem doppelten möglich, auf typischen innerstädtischen Straßen mit etwas flotterem Tempo des Radfahrers von sagen wir mal 30 km/h sind dann bereits legale 80 km/h Geschwindigkeitsdifferenz möglich, von Landstraßen und durchaus vorkommenden Geschwindigkeitsübertretungen noch gar nicht zu reden. Diese Werte liegen weit jenseits jeglicher Normgrenzen, so dass normgerechte Helme hier keine ausreichende Schutzwirkung mehr vorweisen.

Selbst unter der Voraussetzung, dass die Normlimits ausgedehnt eingehalten würden (z. B. 30 oder 40 km/h Auf­schlag­ge­schwin­dig­keit), ist es in sehr vielen Fällen utopisch, von einem ausreichenden Schutz auszugehen. Auf den Aspekt der eigentlich viel schlimmeren Rotationsbeschleunigungen möchte ich hier noch nicht mal eingehen. Ingo Keck hat dies in Referenz [12] noch einmal etwas ausführlicher beschrieben. Nur so viel: spätestens wenn man das weiß, ist klar, dass ein Helm diese Art Verletzungen ganz sicher nicht mindert, eher noch das Gegenteil. Das erklärt u. A. auch, weshalb diese Helme tatsächlich eher »Sturzhelme« sind, als alles andere. Platt gesprochen, ein Umfallen wie ein Mehlsack ist durch die Normvorgaben abgedeckt, daran gibt es nur wenig Zweifel. Für den Schutz gegen Kopfverletzungen bei einem handfesten Unfall ist es zumindest nicht angebracht, auf den Helm zu vertrauen. Ähnliche Erfahrungen machen auch Unfallchirurgen. Offenbar hat es relativ wenig Auswirkungen, ob mit oder ohne Helm gefahren wird, allerdings sind die Radfahrer keinesfalls überrepräsentiert bei den Patienten mit Schädel-Hirntraumata[17]. Eine Alternative gäbe es allerdings, denn sogenannte Hartschalen-Helme, wie sie für Motorradfahrer bereits verpflichtend sind, sind weitaus besser konstruiert und müssen deutlich mehr leisten, als der Sturzhelm für Radfahrer. Nur den trägt vermutlich keiner freiwillig, eher wird man wohl das Radfahren aufgeben.

Aber mit Helm hätte er doch bestimmt überlebt! – Oder nicht?

Gerne wird anekdotisch vom »Bekannten« oder einer anderen Person erzählt, der der Helm ja das Leben gerettet habe. Dieses Spiel kann man auch von der anderen Seite her betreiben. Ein Beispiel: Tödlich verunglückter Radfahrer identifiziert (13.8.2012). Hier ist ein Radfahrer bei einem Alleinunfall, also ohne Unfallgegner ums Leben gekommen. Die körperlich mögliche Fahrgeschwindigkeit des 69jährigen wird also mit einiger Sicherheit nicht so groß gewesen sein, wie dies die Relativgeschwindigkeit mit einem KFZ als Unfallgegner ggf. sein könnte. Trotzdem hat der getragene Helm ihn nicht ausreichend vor schweren Kopfverletzungen bewahrt, sodass dieser überlebt hätte. Die oft anzutreffende Aussage »aber mit Helm hätte er bestimmt überlebt« ist hier offenkundig wiederlegt. Selbst mit Helm hat er nicht überlebt. Weiteres Beispiel: 49-jähriger Rennradfahrer bei Unfall in Sande gestorben (9.8.2012). Hier ist ein 49jähriger bei einem Unfall mit einem begleitenden Radfahrer trotz Helm tödlich verunglückt. Die Liste lässt sich hier sicher genauso gut verlängern, wie die Liste der »mit Helm hätte er/sie bestimmt überlebt«-Fälle. Anekdoten eignen sich offenkundig nicht, um gesicherte Rückschlüsse über die Wirksamkeit von Helmen zu ziehen. Nun könnte man aber noch argumentieren, dass der Helm ja evtl. zumindest statistisch gesehen eine positive Wirkung haben wird, z. B. sollte eine etwaige Helmpflicht nicht so spurlos an den Unfallstatistiken vorbei gehen. Statistische Auswirkungen von Helmpflichten gibt es auch. Allerdings sind die Ergebnisse anders als man erwarten würde.

Studien zum Thema Fahrradhelme

Anfangs wurde schon auf die Studie von Thompson et al.[3] hingewiesen, welche vollmundig 85% weniger Risiken für Kopfverletzungen für Radfahrer mit Helm anführt. Auf diese wurde in der Folge von Helmbefürwortern und -werbern häufig verwiesen, immer mit dem Hinweis der 85% Risikoreduktion. Allerdings ist das keinesfalls die ganze Wahrheit (die Studie wurde inzwischen sogar von der US-Regierung als nicht korrekt zurückgezogen[16]). Die Arbeit wurde in Fachkreisen für ihre Auswertungsfehler kritisiert. Es wurden z. B. keine Daten zur Wahrscheinlichkeit überhaupt einen Unfall mit und ohne Helm zu erleiden, eingerechnet. So existiert aus demselben Zeitraum eine andere Studie zum Thema Helmtrageverhalten von Kindern[10], aus der hervor geht, dass die Helmtragequote in Seattle im fraglichen Zeitraum zwischen 5,5% und 15,7% lag. Nach Thompson et al. sind jedoch 7,2% Helmträger unter den Kopfverletzten, 23,8% Helmträger unter den Verletzten und 23,3% bei der zweiten Kontrollgruppe. Rechnet man das runter, ändert der Helm bei angenommenen 5,5% (15,7%) Tragequote das Risiko verletzt zu werden um wenigstens 333%(!) (+52%), für die Kontrollgruppe um +324% (+48%) und für Kopfverletzungen +31% (-65%). Bei einem Anstieg auf mehr als das vierfache bei Verletzungen sollte man hellhörig werden.

Solche und ähnliche Zahlen lassen sich nebenbeibemerkt immer wieder feststellen, z. B. hat die Polizei Augsburg in ihrer Unfallstatistik für das Jahr 2012[11] zu berichten dass 25,59% der Verletzten Radfahrer einen Helm trugen. Nur ein Jahr vorher trugen aber in Deutschland gerade mal 11 Prozent der Radfahrer einen Helm[13]. Nun ist es recht unwahrscheinlich dass ausgerechnet Schwaben so aus der Reihe tanzt oder innerhalb eines Jahres sich die Quote mehr als verdoppelt. Eine genauere Aufschlüsselung wäre hier interessant, denn so drängt sich der Verdacht auf, dass der Helm, oder die Nutzer von Helmen alles andere als für sicheres Radfahren sorgen.

Zum anderen gibt es auch Studien, die in Ländern durchgeführt wurden, die die Helmpflicht bereits eingeführt haben, u. A. Neuseeland und Australien. Hier ist gewissermaßen das Feldexperiment gestartet worden, so dass man beim Vergleich mit und ohne Helmpflicht doch einen deutlicheren Unterschied sehen müsste, sofern ein solcher real vorhanden ist. In Australien wurde die Helmpflicht am 1.7.1991 eingeführt, allerdings mit eher negativen Folgen: Zwar ist der Anteil an Helmträgern unter den (verbleibenden) Radfahrern auf satte 85% gestiegen, zugleich ist aber die Radfahrer-Anzahl um einen Faktor zwischen 2,2 und 15 gesunken (je nach Ortschaft verschieden), während z. B. die Anzahl an ernsthaften Unfällen bei Kindern um 21% gestiegen ist. Dass nun gerade die Kinder mit Helm entgegen dem allgemeinen Trend mehr Radfahren, wäre seltsam. Für Kinder ist also unterm Strich ein höheres Risiko sich Verletzungen zuzuziehen entstanden. Insgesamt ist die Anzahl an Verletzungen ebenfalls weniger stark gesunken als die Anzahl an Radfahrern. Das bedeutet, dass der Anteil der Verletzungen pro vorhandene Radfahrer sogar gestiegen ist. Sieht man sich an wie groß die Helmtragequote allgemein ist (85%) und wie groß die Tragequote bei den tödlich verunglückten ist (80%) kann man den Unterschied kaum signifikant[6] nennen, zumindest rechtfertigt er keinen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nach Art. 2 (1) GG. In anderen Ländern mit Helmpflicht zeigt sich teilweise sogar überhaupt kein positiver Effekt, wie z. B. in Canada[14]. Ähnliche Beobachtungen gibt es aus der Schweiz, wo Helme seit einiger Zeit stark beworben werden. Eine Helmpflicht gibt es dort zwar noch nicht, wohl aber die Beobachtung, dass die Helmtragequeote gestiegen ist, aber der Anteil der Kopfverletzungen am gesamten Verletzungsgeschehen bei Radfahrern nicht gefallen ist. Es macht also den Eindruck, als wenn die angeblich immer so hocheffektiven Helme unterm Strich dann doch nicht das leisten, was man ihnen nachsagt. Eine Erklärung, die die Autoren in Betracht ziehen ist, dass Helme bei schweren Unfallhergängen weniger helfen, als bei leichten Unfällen, was angesichts der Normen auch kaum überrascht.

Aber der Helm ist doch wohl besser als gar kein Schutz, oder?

Die Frage, ob Helme mit ihrem zwar nicht signifikanten aber evtl. doch in geringem Ausmaß vorhandenem Schutz nicht doch getragen werden sollten, ist ebenfalls nicht pauschal positiv zu entscheiden. Sieht man sich die Auswirkungen auf den gesamten Gesundheitszustand der Bevölkerung an, ist die Wirkung sogar insofern negativ, als die positiven Effekte des Radfahren die Risiken für die Gesundheit durch den fehlenden Helm insgesamt um ein 20faches übersteigen[7]. Nimmt man noch obige Beobachtung der häufigeren Verletzungen mit Helm in die Betrachtung, ist das Radfahren mit Helm sicherlich auch nicht gesünder. Wenn man so will, schießt also eine Helmpflicht im Sinne der Volksgesundheit quer, da die Bewegung und die damit verbundenen gesunden Effekte des Radfahrens für die Leute, die den Helm ablehnen und deshalb das Rad stehen lassen, im Schnitt sogar deutlich wertvoller wären als evtl. Risiken des Radfahrens ohne Helm (die sogar eher vernachlässigbar sind, wenn man Verletzungen allgemein betrachtet, da diese mit Helm sogar zu steigen scheinen).

Aber nicht nur dieser vergleichsweise vage Aspekt ist negativ. Es gibt inzwischen eine Reihe Studien, die handfeste Aussagen bezüglich tatsächlicher Risikoerhöhung durch das Tragen eines Helms machen. So berichten einige Forschungsgruppen, dass Radfahrer mit Helm eine gefährlichere Fahrweise an den Tag legen als Radfahrer ohne Helm[8], auch als Risikokompensation bekannt. Doch nicht nur das, zusätzlich wird man enger überholt, wenn man einen Helm trägt[9], was das Unfallrisiko erhöht. Auch stehen Fragen bezüglich Verletzungen am Hals im Raum.[15] Durch den erhöhten Radius des Helms im Vergleich zum unbehelmten Kopf verursachen hebelnde Drehbewegungen des Kopfs beim Aufschlag Drehungen am Hals und verursachen so zusätzliche Verletzungen, die ohne Helm nicht aufgetreten wären. Übrigens einer der Gründe, weshalb Helme seit der zweiten Generation eine zusätzliche Plastikschicht haben, da das Styropor allein sich noch eher am Asphalt verhakt und damit diese Art Verletzungen fördert. Selbst wenn man also einen gewissen »Basisschutz« durch den Helm hat, erkauft man sich diesen durch höhere Risiken auf der anderen Seite, was so sicher auch nicht im Sinne des Trägers ist...

Fazit & Helmpflicht

Abschließend kann man keinesfalls ein klares Votum für den Sturzhelm aka Fahrradhelm aussprechen, da die statistischen Auswirkungen auf die Gesundheit, die Vorteile und angeblichen Schutzwirkungen weder ausreichend sind, um von einer effektiven Schutzwirkung zu sprechen, noch um dieses Utensil als nützlich oder gar notwendig anzupreisen. Eine Helmpflicht ist rational nicht zu begründen, weder durch die Normen, noch durch die Erkenntnisse aus Ländern, die bereits eine Helmpflicht eingeführt haben. Auch ist es nicht sinnvoll, Kindern den Helm aufzuzwingen, auch nicht unter der Annahme, dass diese das Risiko nicht abschätzen könnten. Die Studien aus Australien zeigen deutlich, dass Kinder mit Helm ein noch größeres Verletzungsrisiko haben als ohne, so dass eine Helmpflicht auch hier offenkundig nicht vertretbar ist. Allenfalls kann man die Aussage treffen, dass derjenige, der sich damit sicherer fühlt, einen Helm tragen kann. Die bekannten negativen Nebeneffekte sind jedoch zu berücksichtigen, so dass eine Förderung oder Bewerbung von Sturzhelmen, insbesondere wenn ausschließlich für Radfahrer gedacht, nicht im Sinne der Sicherheit von Radfahrern angesehen werden sollte. Vielmehr ist dies eine Möglichkeit für die Hersteller, dank vergleichsweise billiger Ausgangsmaterialien, eine große Gewinnspanne zu erwirtschaften. Eins wird an dieser Stelle auch oft vergessen: Der Helm signalisiert »Radfahren ist gefährlich«. Dieses Signal sollte man unter den genannten Umständen dann doch nicht aussenden, denn tausende langjährige Radfahrer (auch und gerade diejenigen ohne Helm) zeigen eins klar und deutlich: Radfahrer sterben nicht wie die Fliegen weg, eine besondere Gefährlichkeit kann man kaum attestieren. Und nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass Versicherungen seit Jahren bereits versuchen, sich vor der Zahlung von Schadensersatzforderungen zu drücken, bzw. diese Zahlungen zu mindern, indem man die angebliche Schutzwirkung von Helmen vorschiebt, Helme im Weiteren implizit im Sinne einer vom Geschädigten anzustrebenden Schadensminderung vorschreibt, obwohl die Schutzwirkung wissenschaftlich nicht anerkannt ist. Auch in diesem Sinne ist von Helmen eher Abstand zu nehmen, da sie zum einen für andere Radfahrer ungerechtfertigten sozialen Druck schaffen, zum anderen der Zahlungs-Verweigerung von Versicherungen Vorschub leistet. Oder kurz umrissen:

Das letzte was Radfahrer brauchen sind Helme oder gar Helmpflichten.

Quellen:

[1] Auerbach, Kerstin; Otte, Dietmar; Jänsch, Michael; Lefering, Rolf; Medizinische Folgen von Straßenverkehrsunfällen: Drei Datenquellen, drei Methoden, drei unterschiedliche Ergebnisse?
[2] Iris Niemeyer; Dissertation; Zur Biomechanik des traumatischen diffusen Axonschadens (2002)
[3] Thompson R. S., Rivara F. P., Thompson D. C.: A case control study of the effectiveness of bicycle safety helmets; N. Engl. J. Med. 320, 1361-1367 (1989)
[4] DIN EN 1078, Abschnitt 4.4
[5] DIN EN 960, Tabelle 1
[6] Robinson, D. L.; Head injuries and bicycle helmet laws; Accident Analysis and Prevention 28, 463-475 (1996)
[7] Hillman, M.; Cycle Helmets the case for and against; London: Policy Studies Institute (1993)
[8] Adams, J. and Hillman, M.; The risk compensation theory and bicycle helmets; Injury Prevention 7, 89-91 (2001)
[9] Walker I.; Drivers overtaking bicyclists: objective data on the effects of riding position, helmet use, vehicle type and apparent gender; Accid. Anal. Prev. 39(2), 417-25 (2007), kurze Zusammenfassung
[10] Di Guiseppi, C. G., Rivara, F. P., Koepsell, T. D., Polissar, L.; Bicycle Helmet Use By Children - Evaluation of A Community-wide Helmet Campaign; Jama-journal of the American Medical Association 262, 2256-2261 (1989)
[11] Unfallstatistik des Polizeipräsidium Schwaben Nord für das Jahr 2012
[12] Ingo Keck; Wirksamkeit von Fahrradhelmen; Fahrrad Zukunft 14 (2012)
[13] Winfried Siegener, Eike Schmidt; Forschung kompakt 06/12, Sicherung durch Gurte, Helme und andere Schutzsysteme 2011 (2011)
[14] Jessica Dennis et al.; British Medical Journal 246, f2674, Helmet legislation and admissions to hospital for cycling related head injuries in Canadian provinces and territories: interrupted time series analysis (2013)
[15] R. G. Attewell, K. Glase, M. McFadden; Accident Analysis & Prevention 33, 345-352, Bicycle helmet efficacy: a meta-analysis (2001)
[16] Feds Withdraw Claim That Bike Helmets Are 85 Percent Effective
[17] Dr. A. Müller, Othojournal 12, 30-31, Sicherheit (2012)

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